Neuer Konzerttrend: Appreciation


Neuer Konzerttrend: Appreciation

Was zunächst im J-Pop begann, setzt sich nun auch hierzulande immer mehr durch

– Ein Text von Harald Welser –

Man merkt es schnell und es trifft einen gewaltig. Wer in diesem Sommer auf einem der zahlreichen J-Pop Konzerte und Festivals war, der wird eine enorme atmosphärische Veränderung wahrgenommen haben. Eine allumfassende, dumpfe, über allem ruhende Stille, die einen packt, aber auch verunsichern kann. Die Rede ist vom neuen Konzerttrend „Appreciation“. Ein Trend, der darauf abzielt, dass alle Besucherinnen und Besucher möglichst keine Geräusche von sich geben. Neben völligem Verzicht auf Mitsingen, Rufen und Tanzen, wird auch das Klatschen nach den Songs komplett unterlassen. Selbst auf kleinste Bewegungen, wie das Wippen mit dem Fuß oder Nicken mit dem Kopf wird verzichtet.

Zu beobachten, sind dabei zwei Haltungen. Die erste beinhaltet eine starre Körperhaltung mit seitlich angelegten Armen zur Stabilisation und gerader Kopfhaltung bei leicht lächelndem Mund, um seine Wertschätzung (Engl: Appreciation) zum Ausdruck zu bringen. Die zweite beinhaltet ein Halten des Handys bei 90 Gradwinkelung des Armes und sonst identischer Haltung. Wer sich anders verhält, fällt auf und wird sogar teilweise zurechtgewiesen.

Hintergrund des Trends ist ein durchaus interessanter Ansatz, der insbesondere eingefleischte Musikliebhaber aufhorchen lassen wird. Die Stille und damit verbundene Bewegungslosigkeit erfolgt nämlich nicht zum Selbstzweck. Ziel der Appreciation Bewegung ist es, gemeinsam die Soundqualität einer Konzertveranstaltung zu verbessern. Während im Filmbereich von Kinos auf immer hochauflösendere Bilder, sattere Farben und spektakuläre Effekte gesetzt wird, hat sich in der Musikindustrie im Bereich Veranstaltungsentertainment qualitativ seit Jahren nicht viel getan. Die Appris, wie sie sich nennen, wollen das ändern, indem sie die Musik völlig unverfälscht von sogenannter Geräuschverschmutzung entfalten lassen. Jede Note, jeder Vers kommt an. So soll ein völlig authentisches Konzerterlebnis entstehen. Was sich für viele „altmodische“ Besucherinnen und Besucher noch unecht und falsch anfühlt, wird insbesondere die freuen, die Musik wirklich lieben und sich schon lange eine klangliche Verbesserung gewünscht haben. Und ein Stimmungshighlight gibt es auch bei Appri Konzerten, denn sind sich alle einig, dass auch wirklich der letzte Ton des Konzerts verhallt ist, brandet doch noch Jubel und Ekstase aus und die Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne werden gebührend gefeiert. Ein Ereignis, dass aufgrund von Missverständnissen rund um die Zugabe jedoch nicht immer eintritt.

Auch in anderen Musikrichtungen, wie Rock, Pop oder Hip-Hop finden sich immer mehr Appris unter den Zuschauern und verändern damit nachhaltig das Konzerterlebnis. Eine Entwicklung die, sollte sich der Trend durchsetzen, auch die Musikerinnen und Musiker selbst vor neue Herausforderungen stellt. Ansagen an das Publikum laufen ins Leere, Mitsingparts werden zu Instrumentals und auch die Anerkennung der Künstlerinnen und Künstler durch Applaus fällt weg. Viele Expertinnen und Experten sind sich jedoch einig: Der Trend verbreitet sich schleichend, aber wird sich letztlich durchsetzen, zu groß ist das Interesse insbesondere junger Leute an qualitativ hochwertiger Musik. Ole Deel, Producer und Leadsänger von The ONES bemerkt auf seinen Konzerten bereits Unterschiede: „Auch, wenn wir als Pop/Rock Gruppe selbst keine direkte Überschneidung mit J-Pop Fans haben, merken wir auf Festivals den Einfluss der Appris. Während die Stimmung bei den Auftritten der Bands vor und nach uns noch immer geprägt ist, von lautem Mitsingen, ausgelassenem Tanzen und leidenschaftlichem Feiern, wird es bei unseren Auftritten meist merklich ruhiger. Ich erkläre mir das so, dass aufgrund unserer hochwertigen Musik, die an Bands wie Coldplay oder Ed Sheeran erinnert, mehr Musikliebhaber im Publikum sind, als bei anderen Bands. Das freut uns natürlich und motiviert uns zusätzlich.“ Bei den genannten größeren Bands ist der Appri-Trend derweil jedoch noch nicht angekommen.

Wer also mit der neuen Stille nichts anfangen kann und weiterhin das klassische „raue“ Konzerterlebnis bevorzugt, findet dieses weiterhin. Er muss jedoch in Kauf nehmen dass die Musik durch „Liveeffekte“ verwischt wird und nicht klingt wie auf der heimischen Anlage. Ob man das dann wertschätzen kann, bleibt wohl jeder und jedem selbst überlassen.

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